Normalgewicht: Ist mein Pferd zu dick oder zu dünn?
22.09.2020
Die Bauchlinie unauffällig, die Hinterhand rund und eine gesunde Wölbung des Oberhalses. Keine Rippen zu spüren. Klingt doch nach einer optimalen Pferdefigur - oder? Nein, denn wenn man die Rippen nicht mehr spürt, ist ein Pferd meist schon zu dick. Doch sind die Rippen nicht das einzige ausschlaggebende bei der Gewichtsbestimmung.
Der Grundsatz bei der Beurteilung des Gewichts eines Pferdes ist: Man sollte die Rippen nicht sehen, aber bei leichtem Auflegen der Handfläche erspüren können. Dann hat das Pferd (häufig) Optimalgewicht.
Nunja, was dabei vollkommen ignoriert wird: Es gibt ganz unterschiedliche Pferde - Araber haben einen anderen Körperfettanteil als beispielsweise Tinker, das lässt sich nicht abstreiten. Trotzdem haben beide Pferde auf den Bildern unten ein gesundes Körpergewicht, sie sind weder unter- noch übergewichtig. Robustpferde haben meist einen höheren Körperfettanteil als die südlichen Rassen - nicht zuletzt, weil erstere meist leichtfuttrig, zweitere oft schwerfuttrig sind. Der BCS (Body-Coditioning-Score) sollte im Idealfall zwischen 4 und 6 liegen, dieser ist besser rasseabhängig zu bestimmen als eine einfache Daumenregel. Wie man ihn bestimmt, habe ich dir weiter unten kurz zusammengefasst.
Also: Die Auffassung über das optimale Körpergewicht eines Pferdes ist immer abhängig von verschiedenen, individuellen Faktoren, so beispielsweise Rasse, Alter, Haltungsform und Nutzung (Reiten, Fahren, Landwirtschaft, ...).
Trotzdem sollte die Faustregel zumindest als Grundlage zur Beurteilung genutzt werden. Laut einer Statistik ist jedes 2. Pferd in Deutschland übergewichtig. Die Folgen? Hufrehe, EMS, Cushing, Gelenk- und Sehnenschäden und vor allem ein falsches Idealbild. Das alte "dick" ist das neue "gesund"...
Wie genau findet man jetzt heraus, ob das Pferd übergewichtig ist?
Übergewicht findet man am besten mit einem Besuch bei der Pferdewaage heraus: Hier kann man den Körperfettanteil berechnen lassen und einen Einblick in die Durchschnittswerte der jeweiligen Rasse werfen, um dann bestmöglich den Fütterungszustand des eigenen Pferdes beurteilen zu können.
Bei deutlich übergewichtigen Pferden sieht man es aber auch ohne eine solche Analyse: Fettpolster lassen (gerade im Sommer) vor allem die Kruppe, aber oft auch den Bauch sehr beulig wirken - und das Pferd wirkt meist "sehr gut bemuskelt", wobei es sich nicht um Muskulatur handelt, sondern um Fettpolster. Merke: Fett ist deutlich weicher als Muskulatur, taste dein Pferd deshalb regelmäßig ab. Weiche, schwabbelige Stellen sind in 90% der Fälle Fett und keine Muskelmasse, auch wenn man das gerne so hätte. Muskulatur fühlt sich eher fest an und schwingt weit weniger.
Gerade bei Pferden, die kaum im Training stehen, sollte man deshalb sehr skeptisch sein, wenn man auf den ersten Blick den Eindruck bekommt, es würde Bodybuilding betreiben. Bei Bolero könnt ihr hier einmal die typischen Fettpolster sehen. Das Bild ist schon ziemlich alt, aber vor allem unten links (hintere untere Kruppe) und rund um die Rippen sind Fettbeulen zu erkennen. Sein BCS liegt auf diesem Foto schätzungsweise bei 6-7.
Auch sind bei dicken Pferden die Rippen und Hüftknochen nicht spürbar, oder nur unter viel "drücken" zu finden. Fettleibige Pferde wirken häufig auch sehr unproportional. Der Bauch oder der gesamte Körper wirken im Vergleich zu den knöcherigen Teilen (Kopf, Beine) sehr groß oder auch aufgebläht. Von vorne sehen solche Exemplare dann aus wie Bowlingkugeln auf Stelzen. Ein weiterer guter Anhaltspunkt ist der Mähnenkamm. Unter der Mähne haben alle Pferde ein Fettpolster, die Dicke ist jedoch sehr ausschlaggebend, um zu bestimmen, ob das eigene Pferd Normalgewicht hat.
Die Zentimeter, die der Fettkamm misst, entsprechen dabei (ungefähr) dem BCS des jeweiligen Pferdes. Bei Boleros Bild oben ist das nicht so, trotz der Fettpolster an Kruppe und Bauch hat er keinerlei Fettkamm. Dadurch wird wieder deutlich: Es lässt sich nicht immer alles auf jedes Pferd übertragen.
Pferde, die an Übergewicht leiden, sind häufig auch sehr unmotiviert und stark vorhandlastig, durch das zusätzliche Gewicht und die Stoffwechselbelastung sollte Übergewicht deshalb nicht unterschätzt werden!
Wichtig ist vor allem, diese "Prüfung" des Optimalgewichts möglichst oft bei verschiedenen Pferden durchzuführen, das kann mal eben schnell beim Weg über die Koppel sein oder auch mal das Pferd einer guten Bekannten, auch online kann man einige Pferde teils sehr gut beurteilen. Auch an sein eigenes Pferd sollte man ohne Erwartungen oder Vorurteile herangehen, wenn man seinen Ernährungszustand analysieren will - oft spielt der eigene Stolz (oder sogar Egoismus) eine große Rolle dafür, wie wir unser Pferd mit seinen guten und schlechten Seiten wahrnehmen. Also: Leg deinen Stolz doch einmal ab und schaue dir dein Pferd ganz genau an! Und egal wie das Ergebnis ausfällt: Du bist hinterher schlauer! :)
Wann ist mein Pferd zu dünn?
Wenn die Knochen deutlich sichtbar und nicht mehr nur spürbar sind. Hier sind vor allem die Rippen, aber auch die Hüftknochen ausschlaggebend. Außerdem ist der Fettkamm kaum ausgeprägt und der Rücken bildet ein Dreieck, wenn man die Hand auflegt, die Rückenmuskulatur ist also kaum vorhanden. Weiteres Indiz: Die Schenkel berühren sich unter dem Schweif nicht. Auch wenn rechts und links neben der Schweifrübe eine Kuhle entsteht, d.h. dort keinerlei Muskulatur vorhanden ist, besteht meist Grund zur Annahme, dass das Pferd untergewichtig ist. Man sollte aber immer das Gesamtpaket betrachten: Gerade alte Pferde müssen nicht zwingend zu dünn sein, haben aber oft eine sehr schlechte Bemuskelung.
Ein zu dünnes Pferd ist aber immer besser als ein zu dickes! Zu dünne Pferde kann man häufig problemlos auffüttern, wohingegen übergewichtige Pferde meist ewig brauchen, um die zusätzlichen Kilos abzuspecken - außerdem geht das zusätzliche Gewicht sehr zulasten der Gelenke, Bänder und Sehnen, verschlechtert das Allgemeinbefinden und belastet auch den Kreislauf und den Stoffwechsel unnötig.
Auf dass wir zum alten Idealbild zurückkehren können! ;)
P.S.: Ja, im Herbst nehmen viele Pferde zu. Und das ist auch gut so, schließlich wird der Winter wieder kalt und das Pferd kann dann sämtliche Energiereserven gebrauchen. Trotzdem gibt es auch hier eine Obergrenze. Über einen BCS von 7 sollte man hier auf keinen Fall kommen! Man sollte den Ernährungszustand deshalb am besten über einen längeren Zeitraum beobachten oder zu einer recht "unspektakulären" Zeit analysieren, zum Beispiel im Frühsommer.
Kategorien: Pferdegerecht | Schlagworte: Blickschulung, Fütterung